Robert Michel

Robert Michel

Robert Michel, fotografiert von Paul Palmert.

* 27. Februar 1897 in Eppstein-Vockenhausen † 11. Juni 1983 in Titisee-Neustadt

Der in Eppstein-Vockenhausen in der Taunusstraße 4 geborene Künstler war ein Pionier der Bildcollage und Vordenker der klassischen Moderne. Lange Zeit lebte und wirkte er mit seiner Frau, der Künstlerin Ella Bergmann-Michel, in der Vockenhäuser Schmelz.


 





Das Wohnhaus der Schmelz. Die ehemalige Mühle ist Vockenhausens ältester noch sichtbarer Gewerbestandort. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden hier eine Eisengießerei und Eisenhütte betrieben, daher heißt der Gebäudekomplex noch heute „die Schmelz“. Hier lebten und arbeiteten Robert Michel und Ella Bergmann-Michel. Foto: Stadt- und Burgmuseum Eppstein.


Stationen seines Lebens in Eppstein-Vockenhausen

Robert Michel war der jüngste Sohn des Farbenfabrikanten Ferdinand Michel und dessen Frau Catherine. Er wurde 1897 in der Fabrikantenvilla Michel in der Taunusstraße 4 in Eppstein-Vockenhausen geboren, die man vom Stadtbahnhof Eppstein über den Bergman-Michel-Weg erreicht. Nicht weit davon erstreckte sich in der heutigen Ortsmitte von Vockenhausen die Schwarzfarbenfabrik Michel & Morell. Der Familienbetrieb war aus einer 1832 gegründeten Schwärzmühle entstanden und hatte sich rasant entwickelt. Nach und nach übernahm die Schwarzfarbenfabrik alle Mühlen in Vockenhausen. So auch die Schmelzmühle, die zu Anfang des Bergmann-Michel-Weges direkt an der B 455 zum Teil erhalten ist. Dort wohnte Robert Michel ab 1920 mit seiner Frau, der Künstlerin Ella Bergmann-Michel und den Kindern Ella (genannt Putzi) und Hans.


Testflieger

Robert Michel begeisterte sich für Maschinen und Motoren. Anregung erfuhr er im elterlichen Betrieb. Seine Leidenschaft war die Fliegerei. 1914 war er in der Flugzeugfirma Gothaer Waggonfabrik und in der Flugzeugwerft Hannover tätig. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig als Flieger und wurde zum Pilot ausgebildet. Als Testflieger der Gothaer Waggonfabrik stürzte er 1917 mit einer brennenden „Gothaer Taube“, dem ersten dort gebauten Flugzeugtyp, ab. Schwer verletzt kurierte er sich in einem Lazarett in Weimar aus. Dieses war in der Großherzoglich- Sächsischen Kunstgewerbeschule einquartiert. Michel, der eigentlich vorhatte, Maschinenbau zu studieren, wandte sich in Weimar der Kunst zu.


Weimar und das Bauhaus

Noch 1917 nahm Robert Michel sein Studium in der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für bildende Kunst auf. Er setzte sich intensiv mit dem Expressionismus und Futurismus auseinander. In der Zeichenklasse lernte er Ella Bergmann kennen. Gemeinsam verließen sie die Hochschule und deren ihrer Ansicht nach verstaubten Lehrmethoden und arbeiteten in eigenen Ateliers. In der Künstlergruppe um den Weimarer Johannes Molzahn trafen sie Kurt Schwitters und den Dadaisten Johannes Baader und entwickelten neue, revolutionäre künstlerische Möglichkeiten.

1919 heirateten Robert und Ella. Walter Gropius stellte ihre Collagen im Weimarer Bauhaus aus. Für kurze Zeit arbeiteten sie am Weimarer Bauhaus, aber der Lehrbetrieb erschien ihnen zu akademisch. 1920 kam der Sohn Hans zur Welt. Im gleichen Jahr verließen sie Weimar und zogen „weg in die Praxis“, wie Robert Michel sich erinnerte. Neuer Wohnort fern von Weimar war die Schmelzmühle der Familie Michel in Eppstein-Vockenhausen. Das um 1800 erbaute Wohnhaus mit Krüppelwalmdach und eine Scheune sind heute noch erhalten.


Die Vockenhäuser Schmelz

Die ehemalige Schmelzmühle wurde zum Wohnsitz und Atelier. Das Künstlerpaar konnte hier finanziell unabhängig leben und wirken. Von Vorteil war die Nähe zum Bahnhof und die gute Erreichbarkeit von Frankfurt und Wiesbaden mit dem Zug.

Robert Michel, Schiff, 1920. Aus: Michael Honecker, Eric Mouchet: Ella Bergmann-Michel & Robert Michel. Le Progrès à bras-le-corps. Galerie Eric Mouchet, Galerie Zlotowski, Paris 2018, S 201.


1927 kam Tochter Ella zur Welt. In den Nebengebäuden der Schmelz ging der Betrieb der Farbenfabrik, später auch einer Lederfabrik weiter.

Von Vockenhausen aus nahm Robert an Ausstellungen in Hannover, Berlin, Mannheim und Wiesbaden teil. Das Wirken des Künstlerpaares in der Schmelz und ihr Netzwerk mit anderen Künstlern machte die Vockenhäuser Schmelz zu einem Treffpunt der künstlerischen Avantgarde. Kurt Schwitters, El Lissitzky, László Moholy-Nagy, Jan Tschichold oder Willi Baumeister waren hier gerne zu Gast, genossen das Landleben und den Austausch mit dem Künstlerpaar.

1956 machte Michel aus dem Anwesen das „Heimatmuseum of Modern Art Schmelz“.


 

Sein künstlerisches Werk

Robert Michel und seine Frau gelten als Pioniere der Bildcollage. Sie orientierten sich stark an den Prinzipien des Dadaismus, einer Bewegung, die traditionelle Kunstformen satirisch verwendete, und  am Konstruktivismus. Diese Stilrichtung versuchte, Kunstobjekte mittels mathematisch fundierter Konstruktionen zu erstellen.


Robert Michel, MANN-ES-MANNBILD, 1918/19. Collage und Tusche. Aus: Karin Orchard: Ella Bergmann-Michel und Robert Michel. Ein Künstlerpaar der Moderne. Sprengel Museum Hannover, 2018, S. 28.

 

Der Umzug in die Schmelz bedeutete eine Zäsur. Beide Künstler bemühten sich um eine neue Sachlichkeit, sie ließen sich stilistisch nicht festlegen und konterkarierten immer wieder von Neuem ihre Arbeitsweise. Robert verwendete neue Techniken für die Collagen, er arbeitete mit Schablonen und Spritztechnik. Seine Begeisterung für Maschinen und die Fliegerei zeigte sich in seinen Bildern mit zahlreichen Elementen, die an Maschinen, Motoren, Zahnräder und mechanische Konstruktionen erinnern. Er war einer der ersten deutschen Künstler, der versuchte, Bewegungen, Räume und maschinelle Dispositionen als Thema in der Kunst zu etablieren.

Robert Michel inmitten seiner Werke 1970

 


Als Mitglied im Bund Deutscher Architekten entwarf er auch in Eppstein zwei Häuser im Stil der Moderne. Eines findet sich in der Straße Am Heiligenwald 2 in Vockenhausen, das andere im Burkhardweg 6.

Bau des von Robert Michel und Karl Hofmeister entworfenen Hauses Am Heiligenwald für den Lederfabrikanten Waldemar Steingötter 1934/35

 


Frankfurt

Robert Michel arbeitete zudem als Werbegrafiker und Architekt in seinem Frankfurter Büro. Er gestaltete Verkaufsläden und Leuchtreklamen, ab 1928 auch zusammen mit der Architektin Lucy Hillebrand. Wie auch Ella war er am Stadtplanungsprogramm des Bundes Neues Frankfurt um den Stadtbaurat Ernst May beteiligt.

Werbegrafiken von Robert Michel


   


Mit Kurt Schwitters, Friedrich Vordemberge-Gildewart, Max Burchartz, Willi Baumeister, Walter Dexel, Jan Tschichold, César Domela, Ella Bergmann-Michel und anderen Künstlern gründete er 1927 in der Schmelz den „ring neuer werbegestalter“. Der avantgardistische Künstlerbund war für die Entwicklung der Typografie des 20. Jahrhunderts maßgeblich.


Berufsverbot

1933 erhielt er ein Ausstellungsverbot durch die Reichskulturkammer, da das NS-Regime moderne Kunst als „entartet“ ablehnte. Robert und Ella lösten ihre Ateliers in Frankfurt auf und tauchten unter, die Schmelz in Vockenhausen bot ihnen die Möglichkeit dazu. Sie lebten von der Forellenzucht in den Teichen an der Mohrsmühle, und der Betrieb wurde vom Staat als wichtig für die Lebensmittelbranche anerkannt. In die Nebengebäude der Schmelz zog während des Zweiten Weltkriegs ein aus Frankfurt ausgelagerter rüstungswichtiger Betrieb ein, der auch Zwangsarbeiter beschäftigte.


Wiederentdeckung

Nach dem Tod seiner beiden älteren Brüder 1945 kümmerte sich Robert Michel um den Familienbetrieb Michel & Morell. Das Unternehmen musste 1956 wegen Zahlungsunfähigkeit schließen. Er erbte die Schmelzmühle. Erst 1954 kehrte Robert Michel wieder zur künstlerischen Tätigkeit in seinem früheren Collagenstil zurück, Ausstellungen in Basel und London führen zur Wiederentdeckung des Künstlers.

Auf vielen Bildrückseiten findet man jetzt den Stempel: „Heimatmuseum of Modern Art. Schmelz near 6239 Germany.“ Trotz des Rückzugs nach Vockenhausen hatte sich das Künstlerpaar den Blick auf die weltläufige Avantgarde bewahrt.

Robert Michel mit seinem Hund im Hof der Schmelz


Sohn Hans Michel und Schwiegertochter Sünke, er bekannter Grafiker und Professor in Hamburg und sie als Fotografin und Dokumentar-Filmerin tätig, besuchten die Eltern in Vockenhausen. Der erste Enkel John Philipp Michel kam einen Monat nach dem Tode von Ella Bergmann-Michel 1971 auf die Welt.

Robert lebte zunächst allein in der Schmelz und zog schließlich zu seiner Tochter nach Titisee-Neustadt. Dort starb er 1983 und wurde im Grab seiner Frau in Vockenhausen beigesetzt.

Robert Michel in seinem Atelier in der Schmelz


Die Arbeiten von Robert Michel und seiner Frau Ella Bergmann-Michel sind heute international in bedeutenden Museen und Ausstellungen vertreten und werden im Kunsthandel hoch taxiert.

In Eppstein organisierte der Kulturkreis drei Ausstellungen zum Andenken an die bekannten Künstler. Im Burgmuseum/Stadtarchiv Eppstein befinden sich Grafiken, eine Collage und ein Druck von Robert Michel, ein Druck von Hans Michel, sowie Kopien der Filme von Ella Bergmann-Michel, dazu Ausstellungsmaterialien und Kataloge zum Einsehen.

Im Bestand des Burgmuseums: Robert Michel: Collage „captif, negativ“ 1969


1997 ließ der Verschönerungsverein Eppstein ein Denkmal zur Erinnerung an die Schmelz und das dort lebende bedeutende Künstlerpaar durch den Künstler Walter Hertel fertigen, das gegenüber der Schmelz an der B 455 steht.

Das Schmelz-Denkmal von Walter Hertel und im Hintergrund die Schmelz 2018.


2012 wurde der Rad- und Spazierweg im Goldbachtal in Vockenhausen in Bergmann-Michel-Weg umbenannt. Dort, wie auch an der Schmelz, an Robert Michels Geburtshaus in der Taunusstraße und auf dem Friedhof erinnern Infotafeln an das Künstlerpaar.

Ab 2022 entsteht im Auftrag der Familie durch die Pariser Galerie Eric Mouchet ein ausführliches Verzeichnis aller Werke in öffentlichen und privaten Sammlungen weltweit und eine Dokumentation ihres künstlerischen Schaffens.

2022 wurde das Kunstwerk der Eppsteiner Künstler Kai Wolf zur Erinnerung an Ella Bergmann-Michel und Robert Michel am Stadtbahnhof eingeweiht.

Monika Rohde-Reith


 

„EPPSTEINER ZEIT“ Hommage des Eppsteiner Künstlers Kai Wolf an Ella Bergmann-Michel und Robert Michel

 

Die Spezialität von Kai Wolf ist die Kinetische Kunst. Er entwirft bewegliche Objekte und Maschinenskulpturen, die elektrisch angesteuert in Bewegung und Klang versetzt werden. Er integriert in seine Kunstwerke benutzte Gegenstände, die durch ihre historische Bedeutung aufgeladen sind. Diese Gegenstände erzählen bereits ihre eigene Geschichte und wirken wie eine kunstethnologische Reise durch die wichtigsten Aspekte der menschlichen Kulturgeschichte.

Kai Wolf verwendet einerseits antike Gegenstände, andererseits moderne Technik und Elektronik. Polaritätsbeziehungen werden deutlich: die Polarität zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Magie und Wissenschaft, die Verbindung von Relikten archaisch wirkender Kulturformen mit naturwissenschaftlichen Errungenschaften.

Seine kinetischen Objekte transformieren die Zeitwahrnehmung und fordern den Betrachter auf, meditativ zu verweilen, die langsamen Bewegungen zu verfolgen, den Klängen zu lauschen, Assoziationen schweifen zu lassen und die Zeit regelrecht zu vergessen. Die Zeit - das will Wolf zeigen - ist das, was vergeht und zugleich als Einziges unvergänglich ist. Zeit ist das, was fortschreitet und dabei doch stets bleibt. Zeit ist das einzig Unvergängliche.

Zwischen Kai Wolf und dem Michel Künstlerpaar gibt es einige Parallelen. Kai Wolf lebt auch in Eppstein und hat dort die meiste Zeit seines künstlerischen Schaffens verbracht.

Aber was noch bemerkenswerter ist: seine mit Mechanik versehenen und in eine antik anmutende Ästhetik verhüllten Kunstwerke erinnern oft an Bilder von Robert Michel. Die Skulpturen scheinen regelrecht ein ins dreidimensionale und in Bewegung gebrachtes Äqivalent zu sein.

Kai Wolf hat für seine Gestaltung der Vorderseite des Denkmals gezielt Bilder von Robert Michel als Vorbild genommen: Elemente aus der Serie „MEZ (Mitteleuropäische Zeit)“, Maschinenteile aus „Gezeitenhebel“, Uhrwerkliches aus „Ri.Ra.(Rutsch)-Mechanik“, Zahnräder, Buchstaben und Zahlen aus „MANN-ES-MANNBILD oder „Propeller-Wind“ sowie verspielte und humorvolle Elemente aus „Schützenfest“.

Es tauchen auch antike Lokomotiven-Modelle auf, die nicht nur ein häufig verwendetes Motiv von Robert Michel sind, sondern auch eine Anspielung auf den Standort Eppsteiner Bahnhof darstellen.

Die Rückseite des Denkmals ist eine Hommage an Ella Bergmann-Michel. Deutliche Parallelen zu der Grafik „OB 197“ sind zu erkennen, sowohl ästhetischer, als auch inhaltlicher Natur.

Ella Bergmann-Michels Bilder zeichnen sich durch eine visionäre Gabe aus, manchmal könnte man meinen, sie konnte die Zukunft voraussehen. In ihren Bildern tauchen wissenschaftliche, moderne und technische Elemente auf, die zuweilen an Solarzellen oder Satelliten erinnern. Dementsprechend hat Kai Wolf die Rückseite wesentlich konstruktivistischer gestaltet und mit Solarzellen versehen. Zukunftsweisende Bilder wie „Prismatik. OB 209“, „Portrait de rayons. B 177“ und „B 167“ standen Pate für die ästhetische Gestaltung der Ella Bergmann-Michel Seite des Denkmals.

Die Photovoltaik auf Ellas Seite versorgt dann wiederrum die Robert Seite mit Strom, so dass sich mechanische Elemente, Uhrwerke, Zahnräder, Klangspiralen und Glocken auf verspielte Art in Bewegung versetzen. Ella treibt Robert an!

Auf diese Art und Weise wird das Gesamtkunstwerk zur „Composition with Machine in Motion“ (Ella Bergmann-Michel 1923).

Der Titel der Hommage „Eppsteiner Zeit“ ist eine Anspielung auf die Zeit, die Ella Bergmann-Michel und Robert Michel in Eppstein verbracht haben. Er verweist aber auch auf die sich bewegenden Uhrwerk-Elemente und die damit verbundene Transformation der Zeitwahrnehmung.

Kai Wolf

www.kaiwolf.info

Literaturauswahl:

Karin Orchard: Heimatmuseum of Modern Art. Ein Netzwerk zwischen tiefer Provinz und internationaler Avantgarde, in: Ella Bergmann-Michel und Robert Michel. Ein Künstlerpaar der Moderne. Sprengel Museum Hannover, 2018, S. 51-104 und Biografie S. 166-173.

Michael Honecker, Eric Mouchet: Ella Bergmann-Michel & Robert Michel. Le Progrès à bras-le-corps. Galerie Eric Mouchet, Galerie Zlotowski, Paris 2018.

Norbert Nobis, Christian Grohn: Robert Michel 1897-1983. Collagen, Malerei, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik, Reklame, Typographie, Entwürfe. Sprengel Museum Hannover, 1988.

Bertold Picard: Vockenhausen. Eine Ortsgeschichte in Bildern und Dokumenten, HG: Interessengemeinschaft 775-Jahrfeier Vockenhausen, 2008, S. 157-162.